Arbeitsproben, Schlaganfall

Schicksals-Schlag

Ein Schlaganfall ereilt immer häufiger schon jüngere Menschen und ist ein Notfall, bei dem jede Minute zählt. Viele Hirnschläge könnten jedoch mit dem richtigen Lebensstil vermieden werden. Lesen Sie hier, wie sie einen Schlaganfall erkennen, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und wie sich das Risiko für ein solches Ereignet reduzieren lässt.

Fachliche Prüfung: Prof. Dr. med. Matthias Endres

Ohne Vorwarnung

Schwindel, Tunnelblick, kaum in der Lage zu sprechen – das können die Folgen eines Schlaganfalls sein, Schuld ist eine Minderdurchblutung des Gehirns, die Teile davon schädigt.

Ein Schlaganfall tritt meist ohne Vorwar­nung auf und kann das Leben der Betroffe­nen und ihrer Angehörigen von einer Se­kunde auf die andere dramatisch verän­ dern. In Deutschland ereignen sich jährlich etwa 270.000 Schlaganfälle, auch als Apo­plex oder Hirninfarkt bezeichnet. Zwar steigt das Risiko mit zunehmendem Lebensalter an, es kann aber auch jüngere Menschen, Kinder und selbst Säuglinge treffen. Experten stellen in der jüngeren Altersgruppe sogar eine Zunahme fest. So erleiden inzwi­schen mehr als 10.000 Menschen unter 45 Jahren einen Schlaganfall. Fachleute ma­chen vor allem den sich verändernden Lebensstil mit steigendem Körpergewicht und zunehmendem Bewegungsmangel da­für verantwortlich. „Bis zu 70 Prozent der Schlaganfälle wären vermeidbar“, weiß Prof. Matthias Endres, Chefneurologe an der Berliner Charité und 2. Vorsitzen­der der Deutschen Schlagan­fallgesellschaft.

Unterversorgung lässt Nervenzellen absterben

Unser Gehirn ist auf eine kons­tante Versorgung mit Blut ange­wiesen, denn so erhält es Sau­erstoff und Nährstoffe. Ist die Blutzufuhr abgeschnitten, dro­hen die Nervenzellen im unter­versorgten Gebiet abzusterben und es kann je nach betroffenem Hirnareal zum Verlust wichtiger alltäglicher Fähigkeiten kom­men. In 80 Prozent der Fälle ist ein verstopftes Blutgefäß [Arterie] für die eingeschränkte Durchblutung verantwortlich (ischämischer Schlaganfall) – entweder aufgrund einer Thrombose oder einer Embolie. Bei der Thrombose führt ein durch Kalkablagerun­gen an den Blutgefäßwänden im Gehirn ent­standener Blutpfropf (Thrombus) zum Ver­schluss. Gefährdet sind Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoff­wechselstörungen, starkem Übergewicht sowie Raucher. Ausgangspunkt einer Em­bolie sind Blutgerinnsel, die sich im Herzen oder in den großen, zum Gehirn führenden Gefäßen wie der Halsschlagader bilden. Lö­sen sich Teile davon, können sie vom Blut­strom in die kleineren Gehirnarterien ge­schwemmt werden und diese verschließen.

„Bis zu 70 Prozent der Schlaganfälle wären vermeidbar.“

Häufig entstehen solche Thromben bei Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstö­rung. Etwa 15 Prozent der Schlaganfälle sind auf das Platzen eines Blutgefäßes im Gehirn zurückzuführen (hämorrhagischer Schlaganfall). Das austretende Blut drückt dabei auf das umliegende Gewebe und die hinter der Blutung liegenden Nervenzellen werden nicht mehr ausreichend mit Sauer­stoff und Nährstoffen versorgt.

Verdächtige Symptome ernst nehmen

Wie dramatisch ein Schlaganfall verläuft, hängt von der Dauer der Unterversorgung sowie von Umfang und Lage des betroffenen Bereichs ab. Hilfe sollte bei den folgenden Symptomen geholt werden: einseitiges Taubheitsgefühl, einseitig herabhängender Mundwinkel, Lähmung einer Gesichtshälfte, Sehstörungen wie Doppeltsehen, halbseiti­ger Ausfall eines Gesichtsfelds, Sprach­schwierigkeiten oder Verlust des Sprach­vermögens, Gangunsicherheit, Schwindel, Gleichgewichts- und Koordinationsproble­me, plötzliche Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Ver­wirrtheit, plötzlich einsetzende starke Kopf­schmerzen.

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Schon zwei- bis dreimal die Woche eine halbe Stunde Ausdauersport soll ausreichen, um das Schlaganfall-Risiko um etwa 20 Prozent zu senken.

Nicht unabwendbar

Jeder kann sein persönliches Schlaganfallrisiko senken. Durch eine gesunde Lebensweise und das Vermeiden beziehungsweise Behandeln von Risikofak toren ließen sich viele Ereignisse vermeiden.

An der Tatsache, dass mit steigendem Al­ter und bei erblicher Vorbelastung die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls zu­nimmt, gibt es nichts zu drehen. Eine ganze Reihe anderer Risikofaktoren, die Arteriosk­lerose und damit einen Schlaganfall be­günstigen, lässt sich aber durchaus beein­flussen. Dazu gehören: zu hoher Blutdruck, gestörter Fettstoffwechsel, Diabetes melli­tus, Vorhofflimmern des Herzens, Rauchen und Alkohol, Übergewicht und Bewegungs­mangel. Eine wichtige Rolle spielt deshalb der persönliche Lebensstil. Eine gesunde Lebensführung trägt zur Senkung des Blut­drucks, des Cholesterinspiegels und des Diabetesrisikos bei und hilft Übergewicht zu vermeiden. Schon der Rauchverzicht verrin­gert die Wahrscheinlichkeit eines Schlag­ anfalls um 20 Prozent.

Bewegung und gesunde Ernährung

Als Schutz vor einem Schlaganfall reicht es schon, regelmäßige Bewegung wie zum Beispiel strammes Spazierengehen, Rad­ fahren, Walken oder Schwimmen in den Ta­gesablauf einzubauen. Es gibt Studien, die besagen, dass bereits zwei- bis dreimal die Woche eine halbe Stunde Ausdauersport wie Nordic Walking ausreicht, um das Schlaganfall-Risiko um etwa 20 Prozent zu senken.

Eine zweite wichtige Säule in der Schlag­anfall-Vorsorge bildet eine ausgewogene Ernährung. Als gut für die Gefäße gilt die sogenannte „Mittelmeerkost“. Sie beinhal­tet reichlich frisches Obst, Gemüse, Fisch sowie Olivenöl. Beim Fleisch gilt: „besser gut als viel“‚ und wenn, dann eher Pute und Huhn. Fettreiche tierische Lebensmittel sollten nur in Maßen auf dem Teller landen. Denn tierische Fette, etwa in Wurst, Speck, Butter und Käse, enthalten viele gesättigte Fettsäuren, die den Cholesterinspiegel in die Höhe treiben, was die Gefäße schädigt und Arteriosklerose begünstigt. Beim tägli­chen Salzverbrauch empfiehlt das Kompe­tenznetz Schlaganfall eine Obergrenze von fünf Gramm pro Tag, das entspricht etwa ei­nem Teelöffel. Dabei gilt es zu bedenken, dass neben vielen Knabbereien auch Fertig­produkte einen hohen Gehalt nicht nur an Salz, sondern ebenso an Zucker und gesät tigten Fettsäuren aufweisen.

Wichtig ist zudem die regelmäßige Teil­nahme an Vorsorgeuntersuchungen, um Erkrankungen wie Diabetes, Herzrhyth­musstörungen, Bluthochdruck, zu hohes Cholesterin und Thromboseneigung früh­zeitig zu erkennen und gegebenenfalls zu behandeln. So lässt sich etwa durch das Senken eines bestehenden Bluthochdrucks die Rate der Schlaganfälle innerhalb von zwei bis drei Jahren um circa 40 Prozent reduzieren.

Die besonderen Risikofaktoren der Frauen

Schlaganfälle sind kein rein männliches Phänomen. Mit 55 Prozent liegt die Gesamt­ rate solcher Ereignisse bei Frauen sogar höher. Dies führt Prof. Endres allerdings auf den Frauenüberschuss bei den über SO-Jäh­ rigen zurück, einer Altersgruppe, in der sich besonders viele Hirnschläge ereignen. An­ sonsten liege die Wahrscheinlichkeit bei Frauen, einen Hirnschlag zu erleiden, aber niedriger als bei Männern – und zwar über alle Altersbereiche hinweg, betont der Mediziner.

Eine Ausnahme bildet die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen. Das liegt an einigen besonderen Risikofaktoren. So müssen ins­besondere Frauen mit hohem Blutdruck aufpassen, da bei ihnen die Einnahme der Antibabypille die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls erhöhen kann. Bevor Frauen mit der Pille verhüten, sollten sie deshalb ihren Blutdruck checken lassen. Ein weite­rer bekannter Risikofaktor für Hirnschlag bei jüngeren Frauen ist die Migräne mit Aura. Sie kündigt sich mit Sehstörungen, Gesichtsfeldausfällen oder Flimmern an und stellt insbesondere in Kombination mit Rauchen eine besondere Gefährdung dar. Amerikanische Forscher raten den Betrof­fenen deshalb, das Rauchen aufzugeben.

Bei älteren Frauen mit erhöhtem Blut­druck, vor allem wenn sie übergewichtig sind, ist Vorsicht bei der Hormonersatz­therapie geboten. Sie wird eingesetzt, um Wechseljahresbeschwerden zu lindern, und steigert das Risiko, einen Schlaganfall zu bekommen.

Jede Minute zählt

Wie gut ein Betroffene den Schlaganfall übersteht, hängt vor allem davon ab, wie schnell er die richtige Hilfe erhält. Deshalb sollte jeder die typi­schen Anzeichen eines Hinschlags kennen.

Nach einem Schlaganfall gilt: „Time is brain.“ Mit jeder Minute sterben kostbare Gehirnzellen ab. Es ist darum lebenswich­tig, dee Symptome zu erkennen und schnell zu handeln. Im Idealfall wird der Betroffene in ein Krankenhaus mit einer „Stroke Unit“ einer zertifizierten Spezialabteilung für Schlaganfälle, gebracht. Hier sorgt ein Team aus Fachkräften dafür dass akute Schlaganfall-Patienten eine rasche Diagnostik, optimale Behandlung und bereits erste Reha­balitationsmaßnahmen erhalten, durch die Patienten Fähigkeiten wiedererlangen die sonst für immer verloren gegangen wären. Wichtig: Der Notarzt sollte auch gerufen werden, wenn die plötzlich auftretenden typischen Symptome innerhalb von 24 Stun­den wieder verschwinden. Denn oft sind sol­che vorübergehenden Durchblutungsstö­rungen die Vorboten eines Hirnschlags. Bei solch einem stummen Schlaganfall spre­chen Mediziner auch von einer transitori­schen ischämischen Attacke (TIA) Oft entgehen den Betroffenen typische Symptome wie Konzentrationsproble­me oder Koordinationsstörun­gen berichtet Endres.

Akutbehandung – so rasch wie möglich

Je eher die Akutbehandlung be­ginnt, umso größer ist die Wahr­scheinlichkeit, dass keine oder nur geringe Behinderungen zurückbleiben. Für die richtige Therapie gilt es zunächst mithil­fe der Computer (CT) oder Kern­spontomographie (MRT) zu klä­ren was und wo im Gehirn den Schlaganfall verursacht hat. Zeigt sich, dass ein Blutgerinn­sel die Sauerstoffzufuhr blo­ckiert, wird eine Lysetherapie durchgeführt. Dabei wird medikamentös der Blutpfropfen im Gehirn aufgelöst. Dies ist nur innerhalb von vier bis fünf Stunden nach Auftreten der ersten Symptome möglich. Ein großer Blutpfropf lässt sich so allerdings oft nicht auflösen. In diesen Fällen kommt eine Thromboektomie infrage. Bei diesem relativ neuen Verfahren schiebt der Arzt einen Katheter von der Leiste bis zu der Stelle, an der das Blutgerinnsel sitzt und saugt es ab. Auch hier ist schnelles Handeln gefragt. Bei einer Hirnblutung geht es dar­um, diese rasch zu stoppen. Ist viel Blut ausgetreten, kann es nötig sein, dieses mittels Operation zu beseitigen, um für eine Druckentlastung im Schädelinnern zu sorgen.

Verlorengegangene Fähigkeiten zurückgewinnen

Auf die Akuttherapie folgt die Rehabilitation. Je jünger die Betroffenen sind und je weniger Beeinträchtigungen der Schlaganfall verur­sacht hat, umso besser sind die Chancen, dass sich eingetretene Behinderungen zu­mindest teilweise wieder zurückbilden. Dann übernehmen andere Gehirnbereiche die Funktion der geschädigten Arealee. Nerven­zellen bauen neue Vernetzungen auf und re­generieren geschädigtes Gewebe. Je nach Defizit kommen krankengymnastische ergo­therapeutische, neuropsychologische oder logopädische Maßnahmen zum Einsatz. Be­troffene sollen wieder so selbständig wie möglich leben können. Nach einem Schlag­anfall oder einer zeitlich begrenzten Durchblutungsstörung müssen die Betroffenen langfristig Medikamente einnehmen, um die Bildung neuer Blutgerinnsel zu verhindern. Dafür werden Wirkstoffe eingesetzt, die eine Verklumpung der Blutblättchen (Thrombozytenaggregationshemmer) oder die Blutgerinnung (Antikoagulantien) vermindern.

Erschienen in vive 20/2014

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